Montag, 12. April 2010

Ohne Worte - Teil III

30. März, 10.00 Uhr: Noch zwei Stunden. Ich erreiche gerade die Zentralbibliothek. Ich lege meine Sachen im Spind ab, springe die Treppe hoch, schmeiße mich schwungvoll gegen die Glastür und gleite so zartfüßig, wie es nach der Verspachtelung einer Packung Prinzenrolle noch möglich ist, durch den Lesesaal. Obwohl ich kurz überlegen muss, welche Zahl gleich nochmal vor vier kommt, finde ich die Signatur, notiere die Seitenzahl meines Zitats und powerwalke zurück zu meinem Spind. Dabei schaffe ich es sogar noch, Horst-Rainer (Name v.d. Red. geändert) auszuweichen, dem ich jedes Mal, wenn ich ihn in der Bibliothek treffe, erkläre, dass ich ihm dummerweise meine Handynummer nicht geben kann, weil ich sie dummerweise nicht auswendig weiß und das Handy dummerweise nicht zur Hand habe, um nachzusehen. Durch-die-Blume-Aussagen zu verstehen ist aber offenbar nicht so Horst-Rainers Ding. Jedenfalls packe ich eilig mein Zeug aus dem Spind und mache mich auf zur Teilbibliothek Romanistik.

30. März, 10.30 Uhr: Mäppchen, Handy, Geldbeutel und USB-Stick fächerartig zwischen die Finger geklemmt stürme ich die Teilbibliothek, okkupiere sofort einen der wenigen PC-Arbeitsplätze und stolpere nun hektisch und nach 27 Stunden ohne Schlaf auch etwas unkoordiniert durch die Gänge, finde aber alles, was ich brauche und mache mich daran, meine Arbeit abzuschließen. Alles wird gut. Ich muss nur eins mit der Tastatur werden. Ich muss die Tastatur sein.

30. März, 11.40 Uhr: ...speichern...und los....

30. März, 11.42 Uhr:
Diewendeltreppehochnachlinksdenganglangnachlinksdurchdietürnachlinks
(I wish I was a hunter in search of different food)*

denganglangdurchdieglastürnachrechtsdietreppehochdurchdieeingangstür
(I wish I was the animal which fits into that mood)*

nachdraußenschrägnachlinksdietreppehochüberdenzebrastreifendietreppezur
(I wish I was a person wirh unlimited breath)*

bibliothekhochdurchdieeingangstürnachlinksdurchsfoyeraneinenarbeitsplatz
(I wish I was a heartbeat that never comes to rest)*

30. März, 11.47 Uhr: Nervös beobachte ich, wie der Drucker mein Opus ausspuckt. Hoffen wir, dass Horst-Rainer jetzt nicht auftaucht. Falls doch, würde ich ihm durch die Blume sagen müssen, dass ich als kleines Mädchen zu fett für's Ballett war. Na endlich. Die letzte Seite ist ausgedruckt. Lochen...einheften...und weiter...

30. März, 11.55 Uhr:
Durchsfoyerrechtsdurchdietürnachdraußendietrepperunterüberdenzebra
(I wish I was a stranger who wanders down the sky)*
streifendietrepperunterzurphilosophieschrägnachrechtsdurchdieeingangstürdie
(I wish I was starship in silence flying by)*

trepperunternachlinksdurchdieglastürnachrechtsdenganglangnachrechtsdurch
(I wish I was a princess with armies at her hand)*

dietürnachlinksdenganglanglinksdietreppehochlinksdenganglangnachrechts...
(I wish I was a ruler who'd make them understand)*

30. März, 11.59 Uhr: Proustend renne ich auf das Sekretariat zu, die Arbeit in der Hand, bereit, mich mit einem dramatischen 'neeeeeeeein' zwischen die sich schließende Tür und den Türrahmen zu werfen, da sehe ich, wie die Sekretärin zusammen mit der Hälfte der SpraWi-Crew ein illustres Kaffeekränzchen abhält. Und es sieht nicht so aus, als würde dieses in den nächsten 30 Sekunden beendet werden. Da sitzen sie alle ganz entspannt mit ihren Biedermeier-Kaffeetässchen und -Kuchentellerchen, die intellektuellen Beine übereinander geschlagen und schauen mich an, als wäre ich ein vorbei fliegendes Raumschiff. Da ich jedoch kurz vor einer Nahtoderfahrung stehe, habe ich sowieso nicht mehr genug Energie, um mich darüber aufzuregen, dass das Sekretariat nicht pünktlich schließt, obwohl ich einen Haufen Studiengebühren zahle, sodass ich einfach versuche, der Sekretärin durch wilde, grobmotorische Fuchtelei mit der Mappe verständlich zu machen, dass ich gerne meine Hausarbeit für Frau Prof. Dr. phil Hedwig Lüdenscheidt-Kowalski abgeben würde. Offenbar versteht sie meine nonverbale Botschaft, denn noch kauend greift sie sofort nach der Mappe und legt sie behende auf einen Stapel weiterer Arbeiten, um das Verspeisen ihres Kuchens nicht allzu lange unterbrechen zu müssen. Also will ich auch nicht weiter stören, empfehle mich mit einem kurzen Nicken in die Runde und verlasse das Lokal nachdem ich meine Arbeit endlich los geworden bin.

30. März, 12.30 Uhr: 25 Stunden, mehrere Kilo Zucker und 2 Fingerkrämpfe später sitze ich mit Augenringen im Waschbär-Look und stylischer out-of-bed-Frisur im Bus und starre teilnahmslos vor mich hin. Könnte gut sein, dass die anderen Fahrgäste mich für dieses Mädchen halten, das in einem Brunnen wohnt und immer aus dem Fernseher krabbelt. Das war's. Es ist vorbei. Was für eine Nacht. Aber ich habe es geschafft, ich bin's halt einfach. Und wenn ich wieder zu Hause bin, muss ich meinem imaginären Haarbürsten-Karaoke-Konzert-Publikum unbedingt noch die Zugabe geben, zu der ich letzte Nacht nicht mehr gekommen bin: Good morning staaaarshiiine, the earth says helloooo...
FIN

* D., Thomas/Potente, Franka: „Wish (Komm zu mir)“. In: Music, Sony (Hrsg): Lola rennt [Soundtrack]. München 1998
Rado, James/Ragni, Gerome: „Good Morning, Starshine“. In: MacDermot, Galt/Rado, James/Ragni, Gerome: Hair. New York 1968.

Mittwoch, 7. April 2010

Ohne Worte – Teil II

30. März, 00.01 Uhr: Ok. Abgabetag. Ich habe noch 11 Stunden und 59 Minuten Zeit, um 7 Seiten zu füllen, eine Seitenangabe in der Zentralbibliothek nachzuschlagen, ein Zitat aus einem Buch in der Teilbibliothek Romanistik abzutippen, eine Bibliographie, ein Inhaltsverzeichnis und ein Deckblatt anzufertigen, alles auszudrucken, zu lochen, abzuheften und das Gesamtelaborat ins Sekretariat von Frau Prof. Dr. phil. Hedwig Lüdenscheidt-Kowalski (Name v. d. Red. geändert) zu bringen. Aber der kleine blaue Kobold auf der Stuhllehne meint, das wäre zu schaffen, wenn ich noch ein paar Red Bull wegexen würde.

30. März, 01.15 Uhr: „… und aus diesem höchst ersichtlichem Grund erscheint die Behauptung in jeglichem Maße äußerst sinnvoll und logisch, man könne durchaus an den meisten Stellen in den meisten der hier untersuchten Dramen, welche ja einen Querschnitt durch sowohl Tragödien, als auch Komödien sämtlicher Jahrhunderte in Frankreich darstellen, und damit sehr repräsentativ für die Tragödien und Komödien sämtlicher Jahrhunderte in Frankreich sind, sagen, und diese Aussage auch durch entsprechende Hinweise auf den Text bekräftigen, dass für die hier untersuchten Dramen, welche ja einen Querschnitt durch sowohl Tragödien, als auch Komödien sämtlicher Jahrhunderte in Frankreich darstellen, und damit sehr repräsentativ für die Tragödien und Komödien sämtlicher Jahrhunderte in Frankreich sind, gilt, dass die Sprache darin Hauptträger der Information ist.“

30. März, 2.30 Uhr: Hey, 1a-Enter Sandman-Luftgitarren-Show, kleiner blauer Kobold!

30. März, 3.15 Uhr: Die Überdosis Red Bull scheint gewirkt zu haben. Ich habe inzwischen nur noch zwei Seiten Text vor mir. Ich weiß zwar nicht genau, was ich auf den letzten Seiten alles geschrieben habe - gut möglich, dass ich auch zwischendrin ins Altkoreanische gewechselt habe – aber solange Einleitung und Schluss gut sind, kann eigentlich nichts passieren, so will es der Primacy-Recency-Effekt.

30. März, 4.30 Uhr: „… und deshalb glaube ich, dass wir den Klimawandel nur dann verhindern, den Regenwald nur dann erhalten und den Weltfrieden nur dann schaffen können, wenn wir auch weiterhin das passé simple im gesprochenen Französisch anwenden. Auf dass unsere Kinder eine bessere Zukunft haben. FIN.“ – Ha, bestimmt hat keiner so einen super Schluss, wie ich. So, und jetzt noch eben schnell den Rest. Bibliographie und so.

30. März, 8.30 Uhr: Der kleine blaue Kobold pennt inzwischen inmitten leerer Bierdosen, Pizzaresten und mehrere kleiner blauer Kobold-Groupies, deren Klamotten quer über meine Tastatur verteilt sind. Und ich müsste nach meinem nicht-existenten Zeitplan jetzt eigentlich in der Bibliothek sein. Aber stattdessen hänge ich immer noch hier rum und bastle an der Formatierung und der Bibliographie der Arbeit. Wäre möglicherweise alles etwas schneller gegangen, wenn ich mir das Merkblatt zur schriftlichen Hausarbeit, das wir uns vorher hätten durchlesen sollen, auch wirklich vorher durchgelesen hätte, sodass ich bereits früher bemerkt hätte, dass Frau Prof. Dr. phil. Hedwig Lüdenscheidt-Kowalski alles ganz anders will, als ich das kenne, und so vielleicht nicht alles hätte doppelt machen müssen. Dies jedoch bleibt eine vage Vermutung.

30. März, 9.30 Uhr: Es ist vollbracht. Der Großteil der Arbeit inklusive Deckblatt, Bibliographie und Inhaltsverzeichnis ist auf meinem USB-Stick gespeichert. Zum ersten Mal seit etwa 17 Stunden betrete ich mein Badezimmer. Einen Moment lang denke ich, Gollum säße in meinem Spiegel und schaut mich an, aber Gollum hat nicht so einen benommenen Blick und auch nicht so viele Kekskrümel im Ausschnitt. Also versuche ich, Schadensbegrenzung zu betreiben, in dem ich das letzte auffindbare Pfund Puder über den gesichtsähnlichen Bereich meines Kopfes verteile – mit mäßigem Erfolg. Ein schlechtes Omen?

Fortsetzung folgt…

Montag, 5. April 2010

Ohne Worte – Teil I

29. März, 11.30 Uhr: Noch 24 Stunden und 30 Minuten bis zur Abgabe meiner Hausarbeit in Sprachwissenschaft. Es läuft gut, ich habe schon eine tolle Einleitung. Noch ein paar Zitate und Tabellen dazu, dazwischen ein paar Überleitungen – passt. Aber bevor ich mich ans Werk mache, brauche ich erstmal den üblichen Vorrat an Grundnahrungsmitteln für die Nacht vor einem Hausarbeitsabgabetermin – Tiefkühlpizza, Prinzenrolle, Red Bull, Cola und Kaffee. Also, auf zu Norma!

29. März, 12.15 Uhr: Mit einer voll gepackten Tasche und der Pizza in der Hand stapfe ich voll Tatendrang zurück nach Hause während ich überlege, wie viele Zeilen ich noch schreiben muss, wenn eine Seite 31 Zeilen umfasst und ich noch neun Seiten zu füllen habe, insgesamt aber 23 Leerzeilen wegfallen. Macht, wenn ich die letzte Seite nur zur Hälfte voll schreibe ... oh… was sehen meine müden Augen dort am Horizont? Zu meiner großen Überraschung und Freude treffe ich Torben-Hendrik (Name v. d. Red. geändert), den ich auf Grund seiner plötzlichen Flucht nach Nordrhein-Westfalen schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesehen habe. Zum Glück ist mein Zeitplan flexibel, da nicht wirklich existent, also nehme ich mir ein kleines bisschen Zeit für einen kurzen Informationsaustausch.

29. März, 13.45 Uhr: Nachdem wir uns einige Minuten unterhalten haben über Wrestling als Alternative für kleine Mädchen, die zu fett für’s Ballett sind, klingelt sein Handy. Und da es leider doch langsam Zeit ist, mich mit meinen rund 6000 Kalorien in meiner Arbeitshöhle zu verschanzen, nutze ich diese extern herbeigeführte Gesprächsbeendigung und verabschiede mich – wenn auch widerwillig – von Torben-Hendrik. Zu Hause angekommen habe ich natürlich inzwischen Hunger und meine Pizza ist ja auch schon aufgetaut, also sehe ich mich gezwungen, erstmal eine Mittagspause zu machen, bevor ich endgültig mit der Arbeit anfange. Dann aber wirklich.

29. März, 16.00 Uhr: Die Mittagspause ist jetzt vorbei, und auch die notwendige Verdauungsstunde, die rein zufällig genau in den Zeitraum fiel, in dem immer King of Queens läuft. Aber jetzt. Nochmal alles kontrollieren: Prinzenrolle – bereit. Red Bull – bereit. Cola – bereit. Kaffee – bereit. Dann kann es ja jetzt losgehen.

29. März, 16.30 Uhr: Merke: Der Cursor hört nicht auf, schadenfroh zu blinken, auch dann nicht, wenn man ihn eine halbe Stunde lang anstarrt, um ihn mit mentalen Kräften dazu zu bringen, die Hausarbeit von allein zu schreiben. Achad Shtaim Shalosh am Arsch!

29. März, 19.00 Uhr: Na also, es läuft. Langsam, aber es läuft. Ich denke, dass es deshalb so schleppend vorangeht, weil die Batterien meines Taschenrechners leer sind und ich sämtliche Werte für meine Tabellen mit dem Handy ausrechnen muss. Ich denke nicht, dass meine Arbeitsgeschwindigkeit darunter leidet, dass ich voll aufgedreht Musik höre, oder unter meinem dazu performten Haarbürsten-Karaoke.

29. März, 20.10 Uhr: Verdammt, ich hätte eine Packung mit zwei Pizzen nehmen sollen. Jetzt habe ich kein nahrhaftes Abendessen mehr und muss den Rest Salat mit Vollkornbrot essen. Zum Glück habe ich ja noch genug von dem anderen Zeug, aber reicht das wirklich um meinen Blutzucker ausreichend hoch zu peitschen? Man weiß es nicht. Noch 15 Stunden und 50 Minuten bis zur Abgabe…

Fortsetzung folgt…