Ihr Kinderlein kommet...
Für gewöhnlich bin ich ein sehr stoischer Zeitgenosse, was aktuelle Politik betrifft. Ich rege mich nie auf und nehme hin, was da kommen mag. Selbst die augenblicklichen Zustände an der Uni, aka Bizarroworld, akzeptiere ich mit dem mantrisch vor mich hin gemurmelten Satz „bald bin ich fertig“. Für gewöhnlich ziehe ich mich nämlich für die meiste Zeit des Tages in meine ganz persönliche Fragt-mich-nicht-ich-bin-nur-ein-Mädchen-Welt zurück, esse Kinderschokolade, schaue die Tudors wegen der tollen Kostüme und mache eine imaginäre Fahrt mit einer meiner Lieblings-Achterbahnen im Europapark* – eine Art Selbstschutzmechanismus. Als ich jedoch heute aus der mollig warmen Dusche auf den Flauschi-Badezimmerteppich stieg, um mir zu überlegen, welche Frisur ich mir heute machen sollte, wurde ich aus dieser katatonischen Starre des Politisierens herausgerissen.
Erst hielt ich es für einen Aprilscherz, aber dann fiel mir ein, dass ich am ersten April meine Zulassungsarbeit abgeben muss und ich konnte mich nicht erinnern, letzte Nacht 65 Seiten mithilfe von intravenöser Zuführung von Taurin und Zucker runtergekotzt zu haben. Also musste das wohl ernst gemeint sein.
Ja, obwohl ich bisher die Ruhe selbst war und mich nie über politische Missstände oder sonstige Meisterleistungen sogenannter Volksvertreter ausließ, muss ich mich hier doch mal äußern, denn diese Meldung toppt alles:
„Wer keine Kinder hat, soll künftig einen Extra-Obolus in die Staatskasse zahlen. Diese Idee stammt von der Jungen Gruppe in der Union[...]. Junge Unionspolitiker [...] wollen [...] noch in dieser Legislaturperiode eine entsprechende Verfassungsänderung durchzusetzen. Das Geld solle in die Sozialversicherungen, aber auch in Infrastruktur und Bildung fließen, sagte der Sprecher der Jungen Gruppe in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Marco Wanderwitz [...]. Den jungen Unionsabgeordneten schwebt konkret vor, Kinderlose ab 25 Jahre mit einem Prozent ihres Einkommens zur Kasse zu bitten. Die Abgabe könne nach der Anzahl der Kinder gestaffelt werden, heißt es. Kinderlose sollen voll zahlen, Eltern mit einem Kind die Hälfte, Eltern mit mehreren Kindern gar nichts.“**
Spitzenidee, Herr Wanderwitz [Anm. der Red: nomen est omen!]! Das ist mir doch glatt einen ironischen Slow-Motion-Applaus wert!
*Pause für ironischen Slow-Motion-Applaus*
Versteht mich nicht falsch, es geht nicht um die Kohle (is' ja für nen guten Zweck). Es geht allein um die Tatsache, dass sanktioniert wird, wer Familienplanung nicht im Sinne des Staates betreibt. Aber da dachte sich Herr Wanderwitz wohl, wer so lecker Peking-Ente kocht, der muss es ja wissen.
Kommen wir nun zu den Gründen, warum diese Spitzenidee eigentlich keine Spitzenidee sondern totaler Bullshit ist:
1. Folgende Fragen bleiben offen:
- wenn jemand keine Kinder bekommen kann, wird er von der Steuer befreit? Wenn nein, wird künstliche Befruchtung staatlich angeordnet? Wenn ja, wird künstliche Befruchtung staatlich bezuschusst?
- wenn jemandes Partner keine Kinder bekommen kann, wird er von der Steuer befreit? Wenn nein, wird die Scheidung staatlich angeordnet? Wenn ja, wird die Scheidung staatlich bezuschusst?
- wenn jemand schon so eine Kelly Family zu Hause sitzen hat und nach Scheidung einen neuen Partner findet, der keine Kinder hat, der jemand aber wegen besagter Kelly Family keine Kinder mehr möchte, ist der neue Partner dann von der Steuer befreit? Wenn nein, s.o.?
- wenn eine Schwangerschaft eine Gefährdung des Lebens der Mutter darstellen würde, sind die Partner von der Steuer ausgenommen? Wenn nein, wird die Beerdigung der Mutter staatlich bezuschusst?
- wenn ein Model durch Schwangerschaft den Traumkörper verliert, bekommt es dann eine Arbeitsunfähigkeitsrente?
- sind Homosexuelle von der Steuer befreit? Wenn nein, kann man das als homophob werten? Wenn Doch, wie wird die Homosexualität nachgewiesen?
Fragen über Fragen...
2. Zu den „Schkrich-ma-nen-Kind-dann-krisch-Kindergeld“ - Leuten kommen nun auch noch die „Schkrich-ma-nen-Kind-sparschteuern-“ - Leute dazu. Ob das die besten Voraussetzungen für ein familiäres Umfeld als Oase der Liebe und Geborgenheit sind? Es ist kühn, aber ich zweifle daran. Und Katja Saalfrank hat leider das Handtuch geschmissen, sodass das soziale Auffangnetz von RTL leider nicht mehr zur Verfügung steht. Das führt am Ende nur zu mehr Emos und davon hat keiner was.
3. Wenn ich also mindestens zwei Kinder bekommen soll, um den Wünschen des Herrn Wanderwitz gerecht zu werden, sollte ich also spätestens mit 23 loslegen. Möglicherweise könnte unter bestimmten Umständen der rein hypothetische Fall eintreten, dass man in diesem Alter den Partner für's Leben noch nicht gefunden hat, oder – noch unrealistischer – in besagtem Leben noch nicht mit beiden Beinen steht. Vielleicht unterschätze ich Deutschland, aber meiner Meinung nach sind es nur realitätsfremde Vollpfosten, die wirklich meinen, der Großteil der deutschen Bevölkerung zwischen 20 und 25 hat a) schon längst die familientechnischen Voraussetzungen für zwei (!) Kinder, b) die finanziellen Grundlagen für zwei (!) Kinder c) die Reife für zwei (!) Kinder und d) überhaupt kein Problem damit, sofort nach der Schule auf Familiengründung mit spätestens 23 Jahren hinzuarbeiten (Freiheit der Jugend wird sowieso überbewertet).
Nun denn. Genug aufgeregt. Sollte sich in den höheren Rängen des Bundestags nicht zufällig eine Lobby finden, die insgeheim plant, in den kommenden Jahrzehnten in diverse Nachbarländer einzumarschieren, dürfte dieses seltsame Geburtenraten-Erhöhungs-Ding der Jungen Union wohl kaum Zuspruch genug finden, um umgesetzt zu werden. Zumindest hoffe ich das. Ich verschwinde nun wieder in meiner Kinderschokoladen-Tudors-Europapark-Welt und schließe mit folgendem Zitat einer weisen Frau, das hoffentlich bei den kommenden Debatten im Bundestag einen Denkanstoß bietet:
Über meinen Uterus wird nicht verhandelt!!!
Gaby Solis
*Nein, für dieses unauffällig eingeflochtene Product Placement, sowie für meine zahlreichen Powerpoint-Präsentationen und anderen werbewirksamen Aktionen werde ich leider immernoch nicht vom Park bezahlt.